Consulting

Künstliche Intelligenz im Recruiting

Zukunftsvision oder Irrsinn? Ein Für und Wider.

Lea Vogt
Lea Vogt

Personalreferentin

31.10.2021 Lesedauer ca. 20 Min.

Als ich im Sommer 2019 nach einem Thema für meine Masterarbeit gesucht habe, musste ich eine „Forschungslücke“ finden und somit ein Thema suchen, dass bisher noch keine große Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hat. Als Personalerin ist Recruiting mein Metier und Künstliche Intelligenz (KI) schien mir spannend zu sein. Also warum nicht beides kombinieren?

Seit dem ist das Thema gar nicht mehr so neu und man stolpert immer häufiger über Artikel und Beiträge bei Xing und LinkedIn, die sich damit befassen. Dennoch habe ich selbst weder aus meiner Arbeit im Personalbereich noch aus meiner Jobsuche nach dem Studium bewusst Kontakt mit KI gehabt. Da sich das in der Zukunft zu ändern scheint, lohnt es sich, das Thema des Einsatzes von KI im Recruiting einmal unter die Lupe zu nehmen: Wie lässt sich KI im Recruiting einsetzen? Was spricht dafür und was dagegen? Und wie wollen wir bei der frobese GnbH KI einsetzen?

Aber warum überhaupt? Aber warum überhaupt?

Unsere Gesellschaft steht durch den demografischen Wandel vor einem Umbruch. Dadurch dass immer weniger Kinder geboren werden, mangelt es schon heute in einigen Bereichen an Arbeits- bzw. Fachkräften. Neuerdings haben Unternehmen nicht mehr die Qual der Wahl, sondern müssen um die besten Bewerber:innen kämpfen.(1) Das merken auch wir, denn als IT-Unternehmen sind wir ständig auf der Suche nach den überall gefragten Softwareentwickler:innen.

Dass die Mitarbeitenden der entscheidende Erfolgsfaktor eines Unternehmens sind, ist nichts Neues. Insbesondere in wissensintensiven Branchen wie der unseren ist dies sogar verstärkt der Fall. Daher befassen sich immer mehr Mitarbeitende in den Personalabteilungen allein mit dem Recruiting. Aber in einer digitalisierten Welt, in welcher wir heute leben, sollte es doch mehr Möglichkeiten als zusätzliche „Man Power“ geben, oder?

Hier kommt KI ins Spiel. Software, die zur Verwaltung eingehender Bewerbungen dient und auch automatische Eingangsbestätigungen sowie Absagen schreibt, gibt es schon seit langem. Allerdings liegt das Screening der Bewerbungen, das Matching von Mensch und Job sowie das Führen von Gesprächen und somit die Entscheidungsfindung weiterhin beim Menschen. Da diese Tätigkeiten nicht wenig Aufwand bedürfen, wird KI als Lösung der Zukunft gesehen – doch ist sie das wirklich?

Und wie? Und wie?

Aber bevor wir uns auf KI im Recruiting beschränken, sollten wir erst einmal klären, was KI überhaupt ist und wo sie heute schon, vielleicht auch für die meisten von uns unbewusst, zum Einsatz kommt.

Bei einer KI handelt es sich um ein System, dass eine mit dem Menschen vergleichbare Intelligenz aufweist. Es soll selbstständig komplexe Probleme lösen und Entscheidungen treffen können.(2) Somit sollen Computer Probleme angehen können, die bisher nur wir Menschen lösen konnten.(3) Der britische Mathematiker Allen Turing löste die Diskussion um die Definition von KI pragmatisch: Wenn man sowohl einem Menschen als auch einer Maschine eine Frage stellt und keinen Unterschied zwischen den Antworten beider feststellen kann, so liegt eine KI vor.(4)

Doch wo finden wir schon heute KI? Von den futuristischen, selbstfahrenden Autos haben wir alle schon gehört, aber auf den Straßen sind sie noch nicht unterwegs. Aber Übersetzer wie DeepL oder Google Translate sowie Amazons Alexa und Apples Siri basieren auf KI. Auch begegnen uns auf immer mehr Webseiten die kleinen Chat-Fenster, die in einer Ecke aufploppen und in denen uns Hilfe angeboten wird. In der Regel versteckt sich dahinter kein Mensch, sondern eine KI. Facebook wiederum nutzt KI, um automatisch auf Fotos Personen zu erkennen und verlinken zu können. Auch andere soziale Medien, wie bspw. YouTube und Instagram, bedienen sich KI, um automatisch verbotene Inhalte zu identifizieren und zu entfernen. Ohne es also zu bemerken, sind wir schon heute täglich mit KI konfrontiert.

Die genannten Alltagsbeispiele haben erst einmal keinen Bezug zum KI-Einsatz in Personalabteilungen. Aber auch hier ist einiges möglich. Die zuvor erwähnten Chat-Fenster auf Webseiten lassen sich auch zunehmend auf den Karriereseiten vieler Unternehmen finden. Diese sogenannten Chatbots sollen die Webseiten-Besucher:innen über Stellenangebote informieren und Fragen beantworten sowie einen Ersteindruck von Bewerber:innen bekommen.(5)

Mithilfe von KI können außerdem Stellenausschreibungen optimiert werden, indem die KI Empfehlungen für den optimalen Inhalt vorschlägt. Außerdem kann der Text einer Ausschreibung in Verbindung mit der Bewerber:innenanzahl gebracht und diese wiederum mit anderen Ausschreibungen verglichen werden.(6)

Eine auf den ersten Blick deutlich befremdlichere Einsatzmöglichkeit von KI im Recruiting ist im Rahmen von Vorstellungsgesprächen, indem eine KI eine Persönlichkeitsanalyse des:der Bewerbers:in erstellt. Bei automatisierten Telefoninterviews können die Antworten von Bewerber:innen mit den „idealen“ Antworten verglichen werden. Außerdem können dabei Stimme, Wortwahl und Tonlage analysiert werden. Mimik und Gestik können wiederum bei automatisierten Videointerviews von einer KI untersucht werden. Die gewonnenen Daten können dann anschließend Referenzwerten gegenübergestellt werden.(7)

Für all diese Einsatzmöglichkeiten gibt es bereits mehrere Anbieter und auch Unternehmen, die diese schon heute einsetzen.

Chancen Chancen

Es würde sicherlich kein Unternehmen eine KI-basierte Software auf den Markt bringen, wenn diese nicht in irgendeiner Weise einen Vorteil mit sich bringt. Welche Chancen stecken also in dem Einsatz von KI im Recruiting?

An erster Stelle steht, wie so oft, die Reduktion von Kosten. Es kann an Personal im HR-Bereich gespart werden und bekanntlich ist das Humankapital in jedem Unternehmen der größte Kostenfaktor. Außerdem, was die um ihre Jobs bangenden HRler aufatmen lässt, kann die gewonnene Zeit durch den Wegfall von Routineaufgaben für das Kerngeschäft genutzt werden – endlich mehr Zeit für persönliche Gespräche! Aktuell verbringen Recruiter noch 70 % ihrer Zeit mit der Kandidatensuche und nur 30 % mit Gesprächen. Durch den Einsatz von KI, die die Kandidatensuche übernehmen kann, können Personaler:innen bis zu 80 % ihrer Zeit mit dem persönlichen Austausch in Gesprächen verbringen.(8) Aus Bewerber:innensicht ist eine Beschleunigung des Recruitingprozesses ein erfreulicher Vorteil, denn wer hat noch nicht wochenlang auf eine Rückmeldung zu einer Bewerbung warten müssen?(9)

Ein großer Pluspunkt, den eine KI gegenüber einem Menschen bietet, ist ihre Objektivität und die damit einhergehende Fairness. Als Personaler:in ist es nicht immer leicht, seine eigene, subjektive Meinung von einer objektiven Entscheidung abzugrenzen. Eine KI hingegen verfügt nicht über diese menschliche Schwäche, sondern handelt evidenzbasiert anstatt intuitiv. Dadurch können auch Probleme der Diskriminierung im Bewerbungsprozess vermieden werden, was letztendlich zu mehr Diversität führt.(10)

Risiken Risiken

Trotz der genannten Vorteile gibt es auch eine Kehrseite der Medaille, wie leider so oft.

Eine KI muss, bevor sie überhaupt funktionieren kann, mit Daten gefüttert werden, um darauf basierend Entscheidungen treffen zu können. Doch in vielen Unternehmen sind gar nicht ausreichend Datensätze verfügbar.(11)

Wenn diese sogenannten Trainingsdaten vorhanden sind, dann kann es allerdings sein, dass diese zu Verzerrungen führen, wenn bereits in diesen Daten bspw. diskriminierende Muster enthalten sind, die dann von der KI reproduziert werden.(12) Wenn zum Beispiel in einem Unternehmen Führungspositionen nur von Männern besetzt sind, so „lernt“ die KI, dass das männliche Geschlecht eine Voraussetzung für eine solche Position ist und sortiert weibliche Bewerber:innen aus dem Prozess aus. So hat 2018 der Algorithmus, den Amazon nutzte, Frauen diskriminiert, sodass das Unternehmen den Einsatz der KI stoppte.(13) Folglich ist eine KI gar nicht rein objektiv, da sie von Menschen gemacht ist und mit durch Menschen erstellten und somit ggfs. verzerrten Daten gefüttert wird.

Des Weiteren ist noch ungeklärt, wer für Fehlentscheidungen einer KI haftbar gemacht werden kann. Die KI selbst ist keine juristische Person und kann ihr Handeln somit nicht selbst verantworten.(14) Dieses Problem kommt bspw. zum Tragen, wenn eine KI diskriminierende Entscheidungen fällt, so wie es bei Amazon der Fall war.

An dieser Stelle lohnt ein kurzer Exkurs, um die potenzielle Gefahr von KI besser verstehen zu können. Facebook nutzt KI nicht nur für die Gesichtserkennung auf Fotos, wie zuvor bereits erwähnt, sondern auch zur Moderation und Löschung verbotener Inhalte. Allerdings macht auch eine KI hierbei Fehler. So wurde der der Account des Terrorexperten David Thomson gesperrt, da auf einem Bild die Flagge der Terrorgruppe IS zu erkennen war, obwohl er lediglich als Journalist darüber berichtete und nicht mit dem IS sympathisiert.(15) David Kaye, UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, warnt davor, dass durch das Outsourcing von Überwachung und Zensur an Unternehmen deren Interessen sich mit denen von Regierungen vermischen. Bei den sozialen Netzwerken ist bereits zu sehen, wie wenige Unternehmen sehr großen Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben können. Bei der KI-gestützten Auswahl von Inhalten, die uns täglich im Feed von Facebook und Co. angezeigt werden, sieht Kaye eine Gefahr für die Meinungs- und Medienvielfalt.(16)

Zurück zum Einsatz von KI im Recruiting. Wir müssen noch einen Schritt weitergehen und uns fragen „Was macht eine:n Mitarbeiter:in überhaupt erfolgreich?“. Leider gibt es kein in Daten messbares Erfolgsrezept, dass wir einer KI beibringen könnten.(17)

Die unter den Chancen erwähnte Kostenersparnis steht wiederum erhöhten Kosten an anderer Stelle gegenüber. So ist der initiale Aufbau eines KI-Systems in einem Unternehmen sehr aufwendig und damit auch teuer.(18)

Außerdem lohnt sich ein Blick in die Zukunft: Sobald Bewerber:innen wissen, dass im Recruitingprozess eine KI eingesetzt wird, gibt es Möglichkeiten diese „auszutricksen“.(19) Wenn zum Beispiel eine KI Lebensläufe vorselektiert, indem sie nach bestimmten Schlagworten aus der Stellenanzeige in den Lebensläufen sucht, so können Bewerber:innen ihre Lebensläufe mit diesen Wörtern bestücken.

Des Weiteren kann es aus HR-Sicht irgendwann dazu kommen, dass die Entscheidungen der KI nicht mehr nachvollzogen werden können und diese zu einer Art „Black Box“ wird.(20)

Fazit Fazit

Und die Moral von der Geschicht‘?

Es fällt mir schwer zum jetzigen Zeitpunkt ein Fazit meiner persönlichen Ansicht zu ziehen. Vieles rund um den Einsatz von KI ist noch rein theoretisch, da es aktuell kaum Praxisanwendungen gibt.

Aber es muss auch kein 100-prozentiges pro oder contra sein. KI lässt sich, wie oben beschrieben, in ganz unterschiedlichen Bereichen des Recruiting integrieren. Eine KI sollte meiner Meinung nach nicht die finale Entscheidung über Zu- oder Absage eines:r Bewerber:in treffen. Die Vorarbeiten, wie bspw. das Versenden von Eingangsbestätigungen, die Beantwortung einfacher Fragen über Chatbots, eine gewisse Vorselektion von Bewerbungen oder die Terminfindung für Vorstellungsgespräche, lassen sich durch eine KI erledigen. Auch eine Optimierung von Stellenausschreibungen, wenn die entsprechende Datenmenge vorhanden ist, wäre einen Versuch wert. Dadurch würden Personaler:innen administrative Arbeit abgenommen, sodass sie mehr Zeit für den persönlichen Kontakt haben. Genau dieser persönliche Kontakt ist das Kernelement der Personalarbeit. Da eine KI eine „Maschine“ ist, wird sie niemals den menschlichen Kontakt ersetzen können. Dieser menschliche Kontakt sollte bei der Auswahl neuer Kolleg:innen nicht unterschätzt werden. Nur dadurch kann im Bewerbungsprozess abgeklopft werden, ob eine Person ins Unternehmen passt. Auch der:die Bewerber:in selbst kann nur durch persönliche Gespräche mit einem:r „echten“ Mitarbeiter:in herausfinden, ob er:sie in diesem Unternehmen arbeiten möchte. Somit stehe ich Vorstellunggesprächen, die durch eine KI geführt werden, sehr kritisch gegenüber.

Aber egal in welchem Bereich eine KI eingesetzt wird, sollte immer ein Mensch regelmäßig prüfen, ob die KI noch so arbeitet, wie vorgesehen und sich nicht in eine Black Box verwandelt hat.

Eines ist klar: Wir werden uns nicht vor KI drücken können, da sie auch schon jetzt in einigen wenigen Bereichen zum Einsatz kommt. Doch sollten wir uns als Unternehmen bereits heute Gedanken darüber machen, wie wir mit KI umgehen wollen. Bei der frobese GmbH sind neue IT-Lösungen im Bereich der Digitalisierung von großem Interesse, schließlich ist das unser Metier. Außerdem möchten wir ein attraktiver Arbeitgeber sein, bei dem sich alle Kolleg:innen als Teil der frobese-Familie fühlen. Ein solches Gefühl möchten wir bereits im Bewerbungsprozess erzeugen. Daher werden bei uns die Personaler:innen niemals vollständig durch eine KI ersetzt werden.

Quellen
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  • Wodecki, A. (2019): Artificial intelligence in value creation: Improving competitive advantage, Cham
Referenzen

(1) Vgl. Achouri (2015), S. 2; Jäger (2018), S. 24, van Esch/Black (2019), S. 7
(2) Vgl. Kirste/Schürholz (2019), S: 21; Petry/Jäger (2018), S. 46
(3) Vgl. Kreutzer/Sirrenberg (2019), S. 3 ff.
(4) Vgl. Dahm/Dregger (2019), S. 251; van de Gevel/Noussair (2013), S. 11 f.
(5) Vgl. Barsch/Trachsel (2018), S. 83; Pierer (2019), S. 314 f.
(6) Vgl. Dahm/Dregger (2019), S. 251; Kreutzer/Sirrenberg (2019), S. 239; Petry (2018), S. 51; Wodecki (2019), S.
(7) Vgl. Barsch/Trachsel (2018), S. 82; Dahm/Dregger (2019), S. 253; Hmoud/Laszlo (2019), S. 26; Petry (2018), S. 51; Pierer (2019), S. 314; van Esch/Black (2019), S. 3
(8) Vgl. Kurz (2021), S. 8 f.
(9) Vgl. Cappelli/Tambe/Yakubovich (2020), S. 112; Dahm/Dregger (2019), S. 252; Hmoud/Laszlo (2019), S. 25; İşgüzar/Ayden (2019), S. 5 ff.; Knobloch/Hustedt (2019), S. 17; Lochner/Preuß (2018), S. 199; Petry (2018), S. 49; Pierer (2019), S. 314 f
(10) Vgl. Bogen/Rieke (2018), S. 7; Cappelli/Tambe/Yakubovich (2020), S. 94; Hmoud/Laszlo (2019), S. 25;İşgüzar/Ayden (2019), S. 5; Knobloch/Hustedt (2019), S. 14 f.; Lochner/Preuß (2018), S. 199; Petry (2018), S. 46
(11) Vgl. Tambe/Cappelli/Yakubovich (2018), S. 2
(12) Vgl. Ajunwa et al. (2016), S. 11; Bogen/Rieke (2018), S. 8; Knobloch/Hustedt (2019), S. 17; Lochner/Preuß (2018), S. 199
(13) Vgl. Meyer (2018), S. 2
(14) Vgl. Stubbe/Wessels/Zinke (2019), S. 240
(15) Vgl. Dachwitz/Reuter (2019), S. 5
(16) Vgl. Raab (2021), S. 1
(17) Vgl. Cappelli/Tambe/Yakubovich (2020), S. 95
(18) Vgl. Chamorro-Premuzic et al. (2016), S. 14; Lochner/Preuß (2018), S. 199; Mathis (2018), S. 15
(19) Vgl. Knobloch/Hustedt (2019), S. 19; Tambe/Cappelli/Yakubovich (2018), S. 4
(20) Vgl. Knobloch/Hustedt (2019), S. 20

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Personalreferentin bei der frobese it-akademie GmbH